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Hier ein erster Vorgeschmack:

 

Zu spät
Sie haben dich fortgetragen,
ich kann es dir nicht mehr sagen,
wie oft ich bei Tag und Nacht
dein gedacht,
dein, und was ich dir angetan
auf dunkler Jugendbahn.
Ich habe gezaudert versäumet,
hab´ immer von Frist geträumet;
Über den Hügel der Wind nun weht:
Es ist zu spät.
fischer
 

                     

 
 
Liebe
Liebe schwärmt auf allen Wegen,
Treue wohnt für sich allein;
Liebe kommt Euch rasch entgegen,
aufgesucht will Treue sein.
goethe
 

                     

 Verloren
Gut verloren - etwas verloren!
Mußt rasch dich besinnen
und neues gewinnen.
Ehre verloren - viel verloren!
Mußt Ruhm gewinnen,
da werden die Leute sich andes besinnen.
Mut verloren - alles verloren!
Da wär´ es besser: nicht geboren.
goethe
 

                     

Meiner Mutter

Und wenn meine Mutter gestorben ist,
Laßt noch ein wenig offen das Grab.
Ich muß noch einmal zu ihr hin
Und schauen hinab.

Und zerren meinen Kranz der Schuld
Bis dicht an ihre Füße her.
Ich flocht daran ein Leben lang.
Darum ist er so schwer.

Und schluchzen - ach - das karge Wort
Aus meiner Seele tiefster Not:
Ich hab dich immer lieb gehabt!
- Nun aber liegst du kalt und tot.

Und jetzt die Erde, Erde drauf,
Ihr Leichenträger grabt nun, grabt,
Auf daß es bei ihr bleibt, das Wort:
Ich hab dich immer lieb gehabt!

Hermann Claudius

 

                     

Das Ziel sieht anders aus

Beinah ein Kind noch, war ich schon gebunden.
Tagsüber hat mich die Fabrik geschunden.
Doch abends endlich wähnte ich mich frei,
da war des Tages Qual mir einerlei.

Ganz früh schon in des Frühlings Morgen,
der Tag war  noch nicht richtig licht,
schon kennend dieses Tages Sorgen,
fuhr mit dem Fahrrad ich zur Schicht.

Die Vögel zwitscherten ihr erstes Piep.
Mir war´s,  als reckten sie die kleinen Glieder.
Es klang, als flöte eins: Ich hab dich lieb,
da tschirpt es schon aus einem anderen Baume wider.

So fuhr ich weiter, selbst ein Liedchen auf den Lippen,
noch  leicht und frohgemut bis zur Fabrik.
An deren Toren kam die Stimmung dann zum Kippen,
an diesen Toren ließ mein Liedchen ich zurück.

Am Werktisch, in der Halle dann,
ich wußt´s im voraus,  daß mir bald der Rücken schmerzt
und daß ich bald  ihn kaum noch gerademachen kann,
hab ich des Morgens noch gescherzt.

Und ist man jung, setzt man sich über vieles weg,
denkt wenig nach, denkt nicht an dauerhafte Schäden,
hebt Lasten, kriegt sie kaum vom Fleck,
da ruft der Vorarbeiter schon, ob wir uns denn nicht schämten.

Und also flogen unsere Hände im Akkord.
Die Beine liefen schon von selber mit uns fort.
Nach ein paar Stunden war man wie betäubt,
das ist dann gar nichts mehr in dir, was sich noch sträubt.

Vor allem eines ist man immer eingedenk:
Es  sind nur Stunden, die man sich verdingt.
Und so ist jeder Feierabend ein Geschenk,
an dem man scheinbar frei in einer Sofaecke niedersinkt.

Am Morgen ist die Freiheit schon vorbei.
Die Nacht ist kurz, denn wie gesagt:
Schon mit dem ersten Vogelschrei
ruft wieder die Fabrik, das heißt: es tagt.

Du gehst jahraus, jahrein in die Fabrik.
Du merkst es kaum, wie dir die Zeit verrinnt.
Du findest einen Mann und kriegst ein Kind
und glaubst gerührt, es wär das große Glück.

Du sinkst am Abend nach vergangener Schicht
noch müder und noch weniger frei
in keiner Sofaecke  Dämmerlicht,
denn abends sorgst du statt für zwei für drei.

Du liebst das Kind, du liebst den Mann,
der auch nichts für dein  Elend kann,
dem´s selber auch nur wenig  besser geht,
der in der Regel abends an der Theke steht.

Er nimmt die Theke so wie du das Sofakissen seinerzeit,
betrügt sich, so wie du damals, wähnt sich befreit.
Und so wie dich ein großes Hoffen in den Schlaf gewiegt,
hat über ihn der Alkohol gesiegt.

Dann siehst du ein, daß es die Ehe nicht als Hafen gibt.
Das Ziel sieht anders aus, das ahnst du zwar.
Die Ehe gingst du ein, weil´s alle tun und weil du ihn geliebt,
geändert hat das deine Lage nicht, soviel ist klar.

Das Ziel sieht anders aus, das ist dir klar:
Du liebst den Mann, du liebst das Kind,
die ihrerseits betrogen sind.
Du liegst im Bett und fragst, ob das dein Leben war.

Regina Korn

                     

Zwischen Halde und Heerweg

Im Spritzenhaus des Dorfes liegt
des fremden Bettlers erstarrte Leiche;
der Förster fand sie im Morgengraun
am Heerweg unter der großen Eiche.

Kalt bläst der Wind durch das Ziegeldach
und hüllt mit des Schnees weichfallenden Flocken,
mitleid´ger als Menschen, die nackte Brust,
die fahle Stirn und die greisen Locken.

Landstreicher halten die Leichenwacht:
der Marder drückt sich unter die Latte;
die öden Taschen des toten Kumpans
beschnobert umsonst die enterbte Ratte.

Sein Nachlaß hängt an dem Nagel dort:
ein Schwarzdornstab mit eiserner Spitze,
ein leerer, durchlöcherter Bettelsack
und eine vergriff´ne Soldatenmütze. -

Wer war und woher der fahrende Mann?
Ein Findling weint´ er an grüner Halde;
sein Vater der Sturm, seine Mutter die Nacht,
sein Vetter der wilde Vogel im Walde!

Was zwischen Halde und Heerweg liegt?
Seiltänzer frag und den Wärter im Spittel,
die rote Wirtin im Heidekrug,
Zigeuner und Roßkamm, Köhler und Büttel. -

Wer hebt die Hand? Wer schleudert den Stein?
Wer wirft sich auf zum Richter und Rächer?
Er war, was du bist; er ist, was du wirst:
wir alle sind arg, wir alle sind Schächer.

Tragt leise ihn fort und versenkt ihn sacht,
befehlt die Seele dem Born der Gnaden,
und eine Träne des Mitleids zollt
den dunkeln Wallern auf dunkeln Pfaden.

Friedrich Wilhelm Weber

                       

 

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